Danke Otto!

Mastermin 14. April 2022 0

Am 15.04.1972 starb Otto Brenner, langjähriger Vorsitzender der IG Metall. Gute Gelegenheit einen Blick auf Mensch und Wirken zu werfen. Visionär und Asket, das erstaunliche Leben des Otto Brenner bietet viele interessante Facetten.

Seine Ziele und Überzeugungen haben nicht an Aktualität verloren.  Die Idee der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“…bedeutet, dass in einer Gesellschaft sich zur selben Zeit Dinge zeigen, die eigentlich nicht zusammenpassen.

Kinderarmut bei sehr hohem allgemeinen Wohlstand zum Beispiel. Diese Ungleichzeitigkeit gesellschaftlichen Fortschritts hat Otto Brenner immer umgetrieben.

Er war glühender Verteidiger der demokratischen Bundesrepublik. Doch für ihn war dieser Staat unvollendet: Er hatte zwar ein demokratisches politisches System. Aber an den Werkstoren endete die Demokratie häufig. Auch die Wirtschaft zu demokratisieren – das blieb zeitlebens Brenners großes Ziel.

Anlass für einen Blick auf die Meilensteine seines Lebens.

Otto, der Eiserne

Otto Brenner kommt 1907 in Hannover zur Welt, als drittes von vier Kindern. Sein Vater, ein Orthopädiemechaniker, wird 1914 eingezogen. Bis 1920 muss die Familie ohne ihn auskommen. Schon mit zehn Jahren arbeitet Brenner als Botenjunge. Schulaufgaben erledigt er bis spät abends. Nach dem 8. Volksschuljahr verlässt er die Schule, arbeitet als Hilfsarbeiter. Durch die Arbeit an der Nietenpresse in einem Metallbetrieb ruiniert er sich Bronchen und Lungen, muss monatelang in die Klinik. Bei Hanomag bildet er sich schließlich in Abendkursen zum Elektromonteur weiter – und damit zum Facharbeiter.

Er engagiert sich im Deutschen Metallarbeiterverband, dem Vorläufer der IG Metall, wird Vertrauensmann. Alkohol- und Tabakkonsum betrachtet er als Wurzel politischer Lethargie. Er tritt dem Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bund (DAAB) bei. Sein Leben lang bleibt er Nichtraucher, trinkt äußert selten Alkohol, ernährt sich vegetarisch.

Otto, der Überlebende

Wer Otto Brenner verstehen will, sollte sich vor Augen führen, aus welchen Verwüstungen die Gewerkschaften nach 1945 hervorgingen. Überlebt hatten viele Gewerkschafter nur durch Zufall.

Brenner kommt halbwegs glimpflich durch die NS-Zeit. Und das obwohl er auch nach der „Machtergreifung“ der Nazis weiter Parteiarbeit für die bereits verbotene SAPD machte, eine linke Abspaltung der SPD aus der Endphase der Weimarer Republik. Im August 1933 wird er verhaftet, sitzt zwei Jahre im Gefängnis. Bis Kriegsende steht er unter Polizeiaufsicht. Eingezogen wird er nicht, weil er als „wehrunwürdig“ gilt. In Hannover erlebt er mehrere Luftangriffe.

Nach diesen Erfahrungen ist er entschlossen, „unsere aus den Trümmern des Dritten Reiches neuerstandene Demokratie gegen alle ihre Feinde von rechts und links mit aller Entschiedenheit zu verteidigen“.

Denn in der bürgerlichen Demokratie haben die Beschäftigten – Brenner hätte formuliert: die Arbeiterklasse – zumindest Gestaltungsmöglichkeiten: Streikrecht, Tarifverträge, demokratische Wahlen, Rechtsstaatlichkeit.

Zur Verteidigung der Demokratie gehört für Brenner auch der Antikommunismus. Er schließt Gewerkschafter aus, die sich nicht von Positionen der KPD distanzierten – etwa der Bezeichnung der Gewerkschaftsführungen als „Agenten des US-Imperialismus“. Ebenso weist er Machtansprüche christlicher Gewerkschaften zurück, die damals eng mit CDU und CSU verbunden sind.

Verteidigung der Einheitsgewerkschaft: Auch das eine zentrale Lehre, die Brenner aus der NS-Zeit und dem Scheitern der Weimarer Republik zieht.

Otto, der Unzufriedene

Trotz des grundsätzlichen Bekenntnisses zur Bundesrepublik: Mit der Wirtschaftsordnung des jungen Staates macht Brenner keinen Frieden. Er will auch die Betriebe demokratisieren, nicht nur das politische System. Seine Vision ist eine antikapitalistische Neuordnung der Wirtschaft: Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien, volkswirtschaftliche Gesamtplanung, weitest gehende Mitbestimmung der Beschäftigten.

Brenner gehört in den 1950er und 60er-Jahren zu den herausragenden Köpfen der Zivilgesellschaft, weit über die Gewerkschaften hinaus. Unter seiner Führung beteiligt sich die IG Metall an der „Kampf-dem-Atomtod“-Kampagne gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr. 1968 protestiert Brenner gegen die „Notstandsgesetze“, mit der die große Koalition auch Streik- und Versammlungsrechte bei Bedarf einschränken will.

Otto, der Metaller

1956 wählt der Dortmunder Gewerkschaftstag Otto Brenner zum alleinigen Ersten Vorsitzenden der IG Metall. Zuvor ist er bereits vier Jahre lang Co-Vorsitzender. Er übt das Amt bis zu seinem Tod 1972 aus.

In die Ära Brenner fallen wegweisende tarifpolitische Erfolge: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiterinnen und Arbeiter, Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden (1956) auf 40 Stunden (1967), Ausbau der Mitbestimmung, sprunghaft steigende Löhne, mehr Urlaub. Errungenschaften, die die Arbeitswelt der Bundesrepublik bis heute prägen.

Auch in der Organisationspolitik ist Brenner erfolgreich. Brenner professionalisiert die hauptamtliche Gewerkschaftsarbeit. Die IG Metall steigert ihre Mitgliederzahl von 1,6 Millionen (1952) auf 2,35 Millionen (1972). Seitdem gilt sie als größte demokratische Einzelgewerkschaft weltweit.

Oft geht Brenners Blick über das gewerkschaftliche Tagesgeschäft hinaus: Etwa, wenn er bereits 1956 auf dem DGB-Bundeskongress anmahnt, Chancen und Risiken der Automatisierung in den Blick zu nehmen.

In dieser Weitsicht, gepaart mit undogmatischer Prinzipientreue, liegt Otto Brenners Vermächtnis.

Seine Kernanliegen sind heute so aktuell wie zu seinen Lebzeiten: Verteidigung und Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Demokratie, Gestaltung des technischen Fortschritts, soziale Demokratie.

Otto, der Namensgeber

Direkt nach Otto Brenners Tod gründete die IG Metall ihm zu Ehren ihre Wissenschaftsstiftung: Die Otto Brenner Stiftung wird damit in diesem Jahr 50 Jahre alt. An ihren Namensgeber und die bewegte Stiftungsgeschichte erinnert das Portal www.obs50.de. Dort findet am Montag, 25. April 2022, um 17 Uhr ein Webtalk mit Jörg Hofmann in Gedenken an das Vermächtnis von Otto Brenner statt.

 

Danke Otto!

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